So geht schlechtes Native Advertising

Schlechte Artikel schaden dem Native Advertising – allen Trends zum Trotz: Wenn Leser befürchten müssen, von einer Anzeige enttäuscht zu werden, werden sie auch die guten Texte irgendwann nicht mehr beachten. Wir zeichnen sechs Szenarien, wohin das führen kann, und geben Unternehmen drei Tipps, damit umzugehen.

Vor einiger Zeit hatte ich Bauchschmerzen. Körperlich. In dieser Situation reizte mich beim Lesen von „Spiegel Online“ ein Anreißer mit der Überschrift „Reizdarm – was wirklich helfen kann“. Vielleicht – so dachte ich – habe ich ja einen solchen Reizdarm.

Was ich nach dem Anklicken jedoch lesen musste, löste Brechreiz aus: Ich landete bei einem Text, der sich fünf Sätze lang als informativ ausgab, um dann in richtig schlechte Werbesprache umzuschlagen: „Für Furore bei Betroffenen sorgt jetzt ein rezeptfreies Medizinprodukt aus der Apotheke namens Kijimea Reizdarm.“ So geht das dann bis zum Ende weiter.

Was ich erst beim Zurückblättern bemerkte: Ich hatte beim Anreißer das kleine Wort „Anzeige“ und den auf dem Smartphone-Display kaum zu erkennenden Grauton im Hintergrund übersehen. Als „Spiegel Online“ mit dieser Werbeform – Native Advertising* – angefangen hat, wäre mir das ohnehin noch egal gewesen. Denn ähnliche Anreißer zu Artikeln von Yello-Strom übers Heizkostensparen waren so nutzwertig, dass es mir egal war, gerade freiwillig Werbung zu konsumieren.

War der Reizdarm-Artikel also nur ein Ausrutscher?

Von wegen!

Bei manchen Native Advertisements gewinnt man den Eindruck, dass Unternehmen ihre klassischen Fünf-Wort-Anzeigen einfach auf Artikellänge aufblähen (oder was soll uns dieser Artikel über den Apfel Pink Lady sagen?). Weil „Content-Marketing“ und „Storytelling“ halt gerade so angesagt sind.

Schlecht gemachtes Native Advertising wird jedoch über kurz oder lang auch den guten Artikeln schaden. Wenn Leser zu häufig schlechten Content hinter einer Anzeige vorfinden, werden sie irgendwann das Vertrauen – noch dramatischer: das Interesse – verlieren. Auch guter Content wird dann links liegen gelassen (nicht mehr geklickt), an Reichweite verlieren und Native Advertising in der jetzigen Form nicht mehr funktionieren.

Welche Szenarien im Native Advertising sind also möglich?

  1. Onlinemagazine setzen Redakteure oder Content-Manager in ihren Anzeigenabteilungen ein, die Native Advertisements auf Qualität prüfen. Nur wenn sie den Kriterien eines guten Artikels entsprechen, werden sie veröffentlicht. Bis es so weit kommt, wird der Ruf von Native Advertising im Verlagsumfeld jedoch schon so zerstört sein, dass diese Qualitätsoffensive nicht mehr helfen wird.
  2. Eine Alternative zu 1.: Redakteure oder Content-Manager prüfen Native Advertisements auf Qualität. Ist ein Text gut, läuft er unter dem Begriff „Gesponserter Artikel“; ist er schlecht, dann heißt er „Anzeige“.
  3. Onlinemagazine lassen das Thema schulterzuckend laufen. Den Schaden tragen ja die werbenden Unternehmen, weil sie für weniger Klicks den gleichen Preis zahlen. Bis die Unternehmen irgendwann nicht mehr dazu bereit sind und Native Advertising ausstirbt. Die Chance für einen Neuanfang (siehe 1.).
  4. Onlinemagazine finden neue Möglichkeiten für den Einsatz beziehungsweise die Präsentation von Native Advertisements – und achten dann von Anfang an auf qualitativ hochwertige Artikel.
  5. Es entstehen neue Formen von Websites, die ausschließlich aus Native Advertisements unterschiedlicher Unternehmen bestehen und von Redakteuren oder Content-Managern kuratiert werden. Da könnte dann in einer Rubrik namens „Energie“ besagter Artikel von Yello-Strom neben einem ähnlichen Artikel eines Gebäudesanierers stehen. Da das Gesamtwerbeumfeld der Website vor Nutzwert strotzt, werden alle Unternehmen gleichermaßen profitieren.
  6. Native Advertising stirbt aus, und Unternehmen behalten ihre Texte wieder ausschließlich in ihrem eigenen Umfeld: Blogs, Online- und Printmagazinen oder Apps – inklusive Context Marketing für diese Artikel in Social Media.

Was können Unternehmen schon jetzt tun?

  1. Sie produzieren Inhalte nur noch für eigene Kanäle und verzichten auf Native Advertising.
  2. Sie suchen ihr Werbeumfeld gezielter aus und schalten Native Advertisements nur noch auf Websites, auf denen ein Gespür für gutes Content Marketing erkennbar ist. Ist das Content-Marketing an eine Agentur ausgelagert, wird diese Agentur auf diesen Punkt hingewiesen.
  3. Zuallererst gehen sie mit gutem Beispiel voran und erzeugen nur qualitativ hochwertigen Content. Dafür setzen sie Personal ein (intern oder extern), das sich mit Storytelling auskennt, weil es beispielsweise eine journalistische Ausbildung hat.

 

Was ist Native Advertising überhaupt?
Native Advertising ist eine Disziplin im Content-Marketing: Aber warum heißt Native Advertising eigentlich so? „Native“ heißt ja schließlich „heimisch“ beziehungsweise „bekanntes Umfeld“. Werbung in bekanntem Umfeld?

Das bedeutet aber nicht, dass Unternehmen ihre Native Advertisements auf eigenen Kanälen schalten (das wäre ja unsinnig). Vielmehr bezieht sich das „bekannte Umfeld“ auf die Machart: Internet-Nutzer fühlen sich von klassischer Werbung immer häufiger gestört oder ignorieren sie mittlerweile sogar ganz (sogenannte Bannerblindheit). Sie wollen sich im Internet schließlich einfach nur informieren oder unterhalten.

Genau hier setzt Native Advertising an: indem es nämlich auch informative und/oder unterhaltsame Inhalte anbietet. Zwischen gut gemachten Native Advertisements und klassischen redaktionellen beziehungsweise journalistischen Inhalten auf einer Website ist dann kaum ein Unterschied zu erkennen. Wikipedia spricht in diesem Zusammenhang sogar von „Tarnung“. Um eine vollständige Tarnung zu verhindern, müssen Native Advertisements jedoch als „Anzeige“ oder mit einem ähnlich klaren Wort gekennzeichnet sein.

 
Titelbild: publish! | Material: Adobe Stock

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4 Gedanken zu “So geht schlechtes Native Advertising

  1. Gut erklärt. Beim Kongress der Deutschen Fachpresse im Mai 2017 durfte ich bei einer Diskussion zu diesem Thema teilnehmen. Viele Fachverlage beschäftigt genau dieses Thema momentan sehr: wo fängt Werbung an? Wie muss ich diese kennzeichnen? Wo sind auch in Zukunft hier die Fallstricke?

    1. Ein heißes Thema – auch in Zeiten von Fake News (auch wenn es sich bei gutem Native Advertising eigentlich gar nicht um Fake News handeln kann).
      Wenn ich es entscheiden könnte, würde ich als (Fach-)Verlag tatsächlich jemanden einsetzen, der Native Advertisements gewichtet. Sind sie gut, laufen sie unter „Gesponserte Posts“, sind sie schlecht, laufen sie unter „Anzeige“. Denn wenn Leser diesen Unterschied mit der Zeit kennen und „Gesponserte Posts“ besser geklickt wird als „Anzeige“, denken die werbenden Unternehmen früher oder später um.
      Falls es von der Diskussion beim Kongress der Deutschen Fachpresse zu diesem Thema ein Video oder ähnliches gibt – das würde ich mir gerne anschauen. 🙂

  2. Hallo, ja ich finde auch das Native Advertising ein sehr heikles Thema ist. Ich arbeite seit Jahren im Bereich Content Marketing und habe mir für Native Advertising die Unterstützung von Profis geholt. Wer interesse hat, oder weitereführende Infos zu diesem Thema sucht ist, wird hier fündig: https://www.airmotion-media.de/vermarktung/#native-advertising. Ich hoffe ich konnte weiterhelfen. Liebe Grüße Sabine

    1. Die Beschreibung auf der genannten Website klingt schon mal richtig; Umsetzungsbeispiele sehe ich zwar nicht, aber wer Content Marketing macht – wie auch unsere Agentur -, der sollte ohnehin die richtige Beratung geben. Sonst werden aus Content-Marketing-Agenturen ganz schnell doch wieder Werbeagenturen.
      Und noch was: Auf der genannten Website ist das Michelin-Beispiel genannt (der Michelin-Guide als erste Form des Content-Marketing). Wir haben uns mal angeschaut, wie die Entwicklung im deutschsprachigen Raum war. Da begann alles mit einer Packung Backpulver von Dr. Oetker. 🙂
      http://editorial-blog.de/zeitreise-so-hat-sich-content-marketing-entwickelt/

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