Warum Journalisten zu Unternehmen wechseln

Journalisten schreiben immer häufiger für Unternehmen statt für Verlage. Grund: Das Verständnis für gute Geschichten ist in der Unternehmenskommunikation angekommen. Mit einem freiwilligen Kodex sollten sich Firmen aber zu einem verantwortungsvollen Umgang mit diesem neuen Medienberuf verpflichten.

Sei unabhängig und sei objektiv: Diese Tugenden bekommen Journalisten ziemlich früh eingetrichtert, wenn sie ein zweijähriges Volontariat bei einer Tageszeitung, eine Ausbildung in einer Journalistenschule oder ein Studium an einer Universität absolvieren. Das gehört einfach zum Berufsethos. Aber was bleibt von dieser Unabhängigkeit und Objektivität, wenn ein Journalist nicht mehr über ein Unternehmen berichtet, sondern für ein Unternehmen? Wenn er also die Seiten wechselt?

Nicht viel, so scheint es.

Weshalb wechseln Journalisten dennoch?

Zum einen hat ein Seitenwechsel etwas mit dem Sicherheitsbedürfnis jedes einzelnen zu tun: Jobs scheinen in Unternehmen in Zeiten einer angeblichen Medienkrise sicherer zu sein. Die Arbeitszeiten sind meistens geregelter und weniger ausufernd. Häufig ist auch die Bezahlung besser.

Neue Denkweisen im Marketing

Zum anderen aber – und das ist viel entscheidender – hat sich das Mediennutzungsverhalten geändert. Die Ursache für diese Entwicklung liegt wie so häufig in den digitalen Medien. Facebook und Co. überfluten ihre Nutzer jeden Tag mit gefühlt Abermillionen Informationen. Da überlegt sich jeder Leser genau, welche Rosinen er sich aus dem Überangebot herauspickt, was ihn also interessiert. Wer als Unternehmen oder Verband eine solche Rosine sein möchte, der muss seinen Kunden etwas Nützliches bieten, um im Grundrauschen von Katzenvideos, wichtigen Schlagzeilen und Do-it-yourself-Anleitungen noch aufzufallen. Weil sich die digitale in die analoge Welt überträgt, gilt das auch für Printmagazine.

Marketingabteilungen reagieren darauf, indem sie mit Journalisten arbeiten – ob intern oder mit externen Content-Marketing-Agenturen. Unternehmen haben erkannt, dass sie mit geschönter PR-Sprache und Werbetexten nur noch schwer bei ihren Kunden und Mitgliedern ankommen. Die wollen stattdessen authentische Geschichten aus dem eigenen Lebensumfeld. Auch Nacherzählungen und Berichte interessieren vielleicht gerade noch jene Mitglieder, die an einem Event oder einer Schulung beteiligt waren. Damit sie auch für Unbeteiligte eines Verbands interessant werden, muss entweder eine Geschichte oder ein Ratgeber daraus werden.

Dafür braucht es Erzählformen, die spannend zu lesen sind: Reportagen, Interviews, Ratgeber, Kurzmeldungen. Erzählformen also, die Journalisten aus dem Effeff beherrschen.

Kurzum: Journalisten wechseln in die Unternehmenskommunikation beziehungsweise PR, weil sie dort heutzutage die gleiche Arbeit machen können wie zuvor. Sie geben zwar ihre Unabhängigkeit auf, nicht aber ihr Handwerk.

Unterhaltung statt Investigation

Ohnehin dienen Geschichten in Kunden-, Mitglieder- und Mitarbeitermagazinen überwiegend der Unterhaltung und dem Nutzwert. Damit unterscheiden sie sich nicht von People-, Lifestyle- und Fachmagazinen am Kiosk. Wenn das von einem Verlag publizierte Wirtschaftsmagazin „Business Punk“ in der Januarausgabe 2017 beispielsweise über Snapchat-Gründer Evan Spiegel und drei Szenarien für den weiteren Aufstieg des Start-ups sinniert, dann könnte dieser Artikel genau so auch in einem unternehmenseigenen Kundenmagazin von Snapchat auftauchen. Auch Reisemagazinautoren denken bei jedem Artikel darüber nach, ob er die Zielgruppe „Reisende“ anspricht – genauso wie es ein Journalist macht, wenn er den gleichen Artikel für das Kundenmagazin eines Reiseanbieters schreiben würde. Dass unterhaltende Kioskmagazine so arbeiten, ist nicht verwerflich. Es zeigt aber einmal mehr: Wenn Journalisten die Seiten wechseln, dann machen sie handwerklich nichts anderes als in ihrem bisherigen Beruf auch.

Und trotz fehlender Unabhängigkeit sind unangenehme Themen durchaus möglich: Zwar würde ein Unternehmensjournalist nicht investigativ tätig werden (anders als ein unabhängiger Journalist). Gilt es aber, auf Kritik zu reagieren, würde ein Unternehmensjournalist eine Geschichte recherchieren, die angemessen auf diese Kritik eingeht. Wie das aussehen könnte: In der Zeitung „Die Welt“ ist ein Artikel über die Verspätungen der Deutschen Bahn erschienen. In Sachen Dramaturgie, Protagonist und Behandlung des Themas hätte er genau so auch im Kundenmagazin der Bahn erscheinen können – trotz beziehungsweise gerade wegen seiner kritischen Töne.

Verantwortung gegenüber unabhängigen Medien

Informieren und unterhalten können also beide Seiten, ob Unternehmensjournalist oder unabhängiger Journalist.

Etwas anderes ist es jedoch, wenn es um einen gesellschaftlichen oder gesellschaftspolitischen Auftrag geht. Unabhängige Medien sind in diesen Fällen für eine Demokratie unverzichtbar als vierte Macht im Staat. Unternehmensmedien können eine unabhängige, kritische Berichterstattung gar nicht leisten.

Für Unternehmen und Verbände bedeutet dies große Verantwortung, mit der sie gewissenhaft umgehen müssen. Der Grund: Sie mischen sich als Herausgeber in die Medienbranche ein und sollten sich selbst die Regel auferlegen, dass sie als Quelle klar erkennbar sind: Ein Mitgliedermagazin kommt per Post mit klar erkennbarem Absender, das Cover zeigt dezent das Unternehmenslogo, das Editorial stammt eventuell vom Geschäftsführer. Wird online publiziert, kann die Internet- oder die E-Mail-Adresse eines Newsletters auf den Herausgeber hinweisen. Damit jeder Leser weiß, wer der Absender einer Botschaft ist.

Dann bleibt auch das Ethos jedes Journalisten gewahrt.

(Dieser Artikel ist ursprünglich unter dem Titel „Medienberufe im Fokus – Journalisten in der Unternehmenskommunikation“ im BWH-Magazin erschienen.)

Titelbild: publish! | Material: Adobe Stock

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4 Gedanken zu “Warum Journalisten zu Unternehmen wechseln

  1. Guter Artikel. Aber m. E. leider nicht weit genug gedacht. Denn wäre es eigentlich nicht noch sehr viel wichtiger, wenn der Unternehmensjournalismus speziell im sog. Content-Marketing seiner Verantwortung gegenüber der Öffentlichkeit gerecht würde? Hierzu müsste über einen eigenen Kodex nachgedacht werden. Auf Zielbar habe ich dazu u. a. das hier geschrieben: https://www.zielbar.de/magazin/content-marketing-ethik-11411/

    1. Danke für den ergänzenden Link. Auf jeden Fall haben Unternehmen mit ihren hauseigenen Medien eine Verantwortung (und Verlage hätten sie umgekehrt auch, indem sie Native Advertising klar von redaktionellen Inhalten unterscheidbar machen).
      Wie im Artikel beschrieben sollten sich Unternehmen jedenfalls selbst die Regel auferlegen, dass sie als Quelle klar erkennbar sind. (…) Damit jeder Leser weiß, wer der Absender einer Botschaft ist.

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