Das Lodderbast in Hannover nennt sich „kleinstes Kino Deutschlands“ und macht landesweit von sich reden. Johannes Thomsen beschreibt, worauf er und seine Frau Wiebke bei der Öffentlichkeitsarbeit achten, warum Persönlichkeit und gute Geschichten entscheidend sind und wie die beiden mit Kreativität bislang auch Corona gemeistert haben.
Das Titelfoto stammt aus der Serie „Still“ des Hannoveraner Fotografen Michael Wallmüller. Während der Corona-Lockdowns fotografierte er Kulturschaffende ohne Gäste, darunter auch Johannes und Wiebke Thomsen vom Lodderbast. Die Bilder erscheinen in einem Fotobuch, das Michael Wallmüller per Crowdfunding realisiert hat.
Johannes, über euch berichten die ARD und das ZDF, der Deutschlandfunk und die „Berliner Zeitung“. Wie weckt ihr als Zwei-Personen-Betrieb diese große Aufmerksamkeit?
Über Pressearbeit jedenfalls nicht. Ich habe einmal in einer Werbeagentur gearbeitet und fand es immer völlig bescheuert, zu allem Blödsinn eine Pressemitteilung zu schreiben. Dass wir einen neuen Projektor im Kino haben, das interessiert außer uns keine Sau. Wir setzen darauf, dass wir ein cooles Projekt machen und Redakteure von allein darauf aufmerksam werden.
Ihr habt 24 Plätze und nennt euch „kleinstes Kino Deutschlands“. Das reicht, um diese Aufmerksamkeit zu kriegen?
Nein, die Größe war keine bewusste Entscheidung. Aber finde mal einen Raum zu erschwinglichen Preisen mit Platz für zweihundert Gäste. Wir entdeckten stattdessen vierzig megageile Quadratmeter in guter Lage und dachten, da bekommen wir wenigstens fünfzig Cocktailsessel rein. Es passten aber nur 24. So kam das mit dem kleinsten Kino. Und im Sommer 2020 waren wir dann laut Onlinebewertungen das beliebteste Kino Deutschlands. In vielen Artikeln war das eine kleine Erwähnung, und Redakteure merken sich das, da bin ich mir sicher.
Was tust du aktiv dafür, dass ihr im Gespräch bleibt?
Wir haben einfach permanent neue Ideen. Es ist wichtig, im Kopf frisch zu bleiben und ständig zu schauen, was man anbieten kann. Um Content zu erzeugen, zum Beispiel für Facebook und Instagram, muss man ja erst mal was zu erzählen haben. Sonst könnten wir noch so viel Social Media machen – es wäre nur heiße Luft.
Welche Bedeutung haben die sozialen Medien generell für euch?
Instagram und Facebook sind eine gute Möglichkeit, auf kurzem, kostenlosem Dienstweg viele Leute zu erreichen, die uns zugetan sind. Wenn wir wirklich wichtige Neuigkeiten haben, funktioniert der Algorithmus erstaunlich gut. Wir haben auch einen Newsletter mit zweitausend Abonnenten, der bestimmt auch seinen Zweck erfüllt, aber darauf bekommen wir kein Feedback. Da finde ich Social Media kraftvoller. Aber es müssen immer Gesichter und echte Menschen dahinterstecken und nicht nur irgendwelche Memes. Wer das nicht selbst kann, der sollte sich dabei helfen lassen.
Persönlichkeit ist also wichtig?
So was von! Das ist nach Qualität der wichtigste Faktor. Die Leute haben das Unpersönliche, Anonyme satt. Wir wollten etwas machen, bei dem wir mit unserem Filmgeschmack und unserer Idee und unseren Gesichtern vollkommen dahinterstehen. Das zeigt sich auch in unserem Lokalkolorit – das hat was mit Identität zu tun. Ich bin hier geboren, unser Kino trägt einen hannöverschen Namen – Lodderbast ist ein lieb gemeinter Ausdruck für eine etwas unordentliche Person –, wir pushen lokale Biere, laden Leute aus der Stadt ein, jetzt verkaufen wir regionales Essen. Wir sind Teil einer Kulturlandschaft, und von hier kommen unsere meisten Gäste.
Wie wollt ihr das denn überhaupt anders transportieren als über die sozialen Medien?
Vor der Eröffnung des Kinos haben wir uns in der Vorweihnachtszeit vor Supermärkte gestellt und Leute angequatscht. Die Reaktion war immer: „Nee, keine Werbung.“ Dann haben wir ihnen hinterhergerufen: „Wir machen Programmkino bei euch um die Ecke!“, und schon waren sie heiß drauf. Bis März 2020, als wir wegen Corona zugemacht haben, sind immer noch Leute gekommen, die über Freunde von uns erfahren haben. Die wichtigste Öffentlichkeitsarbeit ist unser Programm, in das wir jeden Monat zwei volle Tage – also 48 Stunden – an Arbeit stecken. Das ist unser Aushängeschild.
Habt ihr euch eure Nische bewusst gesucht, um bestehen zu können?
Das hört sich nach einem tollen Masterplan an, aber eigentlich ist es sehr unspektakulär: Wir zeigen Filme, die wir selbst gern sehen wollen, die aber in der Stadt nirgends laufen. Das sind einerseits Originalfassungen – und andererseits viele gute deutsche Filme, die woanders nicht gespielt werden, weil sie keine Säle füllen. Die sichten wir und beurteilen sie danach, ob wir sie für sehenswert halten. Das war eine weise Entscheidung. Wir müssen jeden Film in unserem kleinen Raum ja schließlich selbst mitschauen. (lacht)
Seit März 2020 habt ihr wegen Corona geschlossen. Was ist damals in euch vorgegangen?
An dem Abend, als wir uns dazu entschieden haben, waren wir ausverkauft, aber das konnten wir nicht mehr guten Gewissens weitermachen. Da haben wir uns erst mal hingesetzt und beide geheult. Aber das war ein kurzer Moment. Da dachten wir noch, das werde ein, zwei Monate dauern und dann kämen wir groß zurück.
Daraus wurde nichts.
Deshalb haben wir uns früh gesagt: Wir sind Kulturschaffende, wir arbeiten in einem kreativen Umfeld, wir setzen uns nicht hin und jammern. Wir fanden es wichtig, irgendwas anzubieten. Kultur fehlte einfach.
Ihr habt euer Programm ins Internet verlegt und Onlinekino gezeigt. Wie entstehen solche Ideen bei euch?
Eigentlich wollten wir einen Podcast machen, bei dem wir Filme anschauen und sie dann besprechen. Das fanden wir dann aber eine Scheißidee. Es hätte zwar sehr wahrscheinlich auch funktioniert – wir haben ja Ende März damit angefangen und wären unter den ersten neuen Podcastern gewesen. Aber es hätte uns einfach nicht so viel Spaß gemacht. Wir wollten lieber mit Leuten zusammen was erleben. So kam das mit dem Onlinekino: Es gibt Netflix und Amazon Prime, geben wir also mal Filmempfehlungen. Und es gibt Filme, die nicht im Kino zu sehen sind, zeigen wir sie also online und sprechen danach mit den Regisseuren und Schauspielern. So saßen wir dann abends mit bis zu 1800 Leuten vor dem Computer.
Und das hat euch Einnahmen gebracht?
Nein, aber wieder gute Publicity, zum Beispiel in den ZDF-„heute“-Nachrichten. Die Spendeneinnahmen der Zuschauer haben wir an die Filmschaffenden weitergegeben und konnten die Branche unterstützen. Bis zu 800 Euro sind da pro Abend zusammengekommen.
Warum ging es mit dem Onlinekino nicht weiter?
Leider ist die Branche nicht flexibel genug. Sobald Kinos im Sommer wieder öffnen durften, haben die Verleiher uns keine Filme mehr gegeben. Sie wollten wieder richtiges Kino. Daran krankt die Branche, und das stinkt mir gewaltig. Du könntest immer wieder tolle Sachen machen, aber die Leute sind so flexibel wie Mauern.
Du hast es schon angesprochen: Ihr seid dann mit etwas ganz anderem um die Ecke gekommen und verkauft jetzt lokales Essen in der Calenberger Palme, einem Imbiss mit nur einem Gericht. Wie passt denn das zu Kino und Popcorn?
Es gibt nicht so viel, womit man derzeit mit Gästen Geld verdienen darf und kann. Für mich war Imbissbetrieb die ziemlich einzige Option. Und zum Imbiss haben wir dann tatsächlich ausnahmsweise eine Pressemitteilung geschrieben, weil Kino und Imbiss so komplett andere Dinge sind. Nach zehn Minuten haben die ersten Redakteure angerufen. Ich denke, das hatte damit zu tun, dass viele jetzt jammern, aber nichts auf die Beine stellen. Und dann gibt es da zwei, die machen einfach.
Wie wichtig ist die Story hinter dem Essen?
Das ist uns total wichtig. Ich kann eine sensationelle Bolognese kochen, die mir eine alte Italienerin bei offenem Feuer in ihrem Garten beigebracht hat. Das mag eine schöne persönliche Geschichte sein, aber da fehlte mir die lokale Tradition. Dass wir also mit Grünkohl und Bregenwurst anfangen, war klar. Das Essen ist hier Nationalheiligtum. Ab Januar machen wir Hamburger Labskaus, aber mit persönlicher Note: Das Rezept ist von meinem Urgroßvater, der zwei Jahre als Koch auf einem Segelschiff von Indien nach Hamburg geschippert ist und sein Labskaus mit Curry gewürzt hat. So gibt es das jetzt auch bei uns. Das ist im Vergleich zu Bolognese vielleicht nicht unbedingt das populärere Essen, aber dahinter steckt die bessere Geschichte.
Funktionierte das bisher mit dem Grünkohlgericht?
Da war eine Oma, die ihren Rollator vier Tage hintereinander zu unserem Laden vor sich hergeschoben hat, um sich Grünkohl zu holen. Die war über achtzig. Am vierten Tag habe ich sie angesprochen, und sie sagte, der Grünkohl schmecke wie früher bei ihrer Oma. Das war so ein tolles Kompliment voller Emotion! Ich habe mal davon geträumt, Koch zu werden und einen Michelin-Stern zu haben und habe während des Studiums anderthalb Jahre in der Gastro gearbeitet. Aber die Köche in Sternerestaurants sitzen da und beurteilen Essen nach objektiven Gesichtspunkten. Das ist nichts für mich.
Letztlich waren eure 120 Essen täglich nach kurzer Zeit ausverkauft. Wie bei eurem Kino mit 24 Plätzen habt ihr also nur ein begrenztes Angebot und müsst auch mal Leute wegschicken. Wie wichtig ist bewusste Verknappung für euch?
Das nehmen wir als angenehmen Nebeneffekt mit, aber es ist nicht unsere Absicht, damit die Leute heiß zu machen. Wir schaffen einfach nicht mehr. 120 Gerichte am Tag sind unsere absolute Grenze. Man darf nicht vergessen, wir kochen das alles allein. Da ist keine Brigade, die schnippelt. Aber wir haben uns natürlich auch gefreut, dass wir Leute wegschicken konnten – das heißt nämlich: Wir mussten kein Essen wegschmeißen.
Wie geht ihr aber dann mit negativen Rückmeldungen um, die dadurch entstehen?
Wer meckert, hat erst mal immer recht. Wenn du es nicht abkannst, dass sich jemand beschwert, dich unfair behandelt, und du ihn dann trotzdem einlädst, dann kannst du nicht Unternehmer sein. Anfangs haben wir noch verschiedene Sachen ausprobiert, uns in Erklärungen verstrickt und uns kleingemacht. Aber das interessiert die andere Person gar nicht. Man muss es so sehen: Auch negative PR ist PR.
Zu euren Essen legt ihr Autogrammkarten. Lass mich raten: Auch das hat mit Persönlichkeit zu tun?
Das haben wir uns in Bochum bei Dönninghaus abgeschaut, einer Currywurstbude. Die Verkäuferinnen, jenseits der siebzig, haben Autogrammkarten. Du kannst das Essen rausgeben und den Leuten schmeckt’s und sie kommen wieder. Wenn sie dann aber auch noch so was Überraschendes, Lustiges dazubekommen, kann das der kleine Impuls sein, dass sie es weitererzählen. Wir fanden es einfach lustig und hatten laut Kalkulation noch Geld übrig, also haben wir das halt gemacht. So etwas funktioniert aber nur, wenn es von Herzen kommt. Du kannst noch so viele Geschichten erzählen und Storytelling machen, wie es so schön heißt. Wenn es aber nicht echt ist und mit Stockfotos auf blauem Dunst vor sich hin dümpelt und keine Gesichter dahinterstecken, dann ist Storytelling nichts wert.
Wenn Corona aus der Welt ist: Wird dir das Kochen fehlen?
Das weiß ich gar nicht, ob es dann vorbei ist. Dieser Monat Grünkohl war so erfolgreich, dass es dumm wäre, das einzustampfen. Die Frage wird sein, ob wir es dann noch dürfen.
Drei Jahre Lodderbast, fast ein Jahr Corona. Ist euch denn nach Feiern zumute?
Es ist nicht selbstverständlich, mit so einem kleinen Kino überhaupt Geld verdienen zu können. Und allein die Tatsache, dass wir in der jetzigen Zeit in der Lage sind, Gäste zu empfangen, ist natürlich ein Grund zum Feiern! Und wir freuen uns umso mehr, wenn wir endlich wieder aufmachen dürfen.
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