„Das Grundproblem ist, dass Fotografie oft nur als Add-on gesehen wird.“

Fotografie aus einer wissenschaftlichen Perspektive: Felix Koltermann beschäftigt sich mit digitalem Zeitungsjournalismus und beobachtet einen Wandel bildredaktioneller Strukturen. Vor dem „Studientag Bildredaktion“ (19. November, online) spricht er über diesen Wandel und welche Gefahr er sieht, wenn die Bildsprache in Unternehmensmedien wie Fotojournalismus aussieht.

Warum führen wir als Agentur, die Magazine für Unternehmen, Vereine und Institutionen erstellt, ein Interview über Bildredaktionen im (Zeitungs-)Journalismus?

Weil es Überschneidungen zwischen einer Agentur-Bildredaktion und einer Verlags-Bildredaktion gibt. Und weil die Bedeutung von Bildern alle Publikationen gleichermaßen betrifft – seien es Zeitungen, Magazine oder eben Unternehmensmedien. Das Thema Fotografie haben wir auf unserem Blog schon einige Male behandelt (thematisch passende, weiterführende Artikel sind im Laufe des Interviews verlinkt). Felix Koltermann ergänzt die verschiedenen Facetten jetzt aus seiner wissenschaftlichen Perspektive.

Felix, den „Studientag Bildredaktion“ hast du im Rahmen des Forschungsprojekts „Wandel bildredaktioneller Strukturen im digitalen Zeitungsjournalismus“ initiiert. Welchen Wandel beobachtest du?

Ich nutze den Begriff des Wandels unter anderem, um die Unterschiede zwischen Print und Online im Zeitungsjournalismus zu beschreiben. Während im Printprodukt immer nur einzelne ausgewählte Artikel bebildert werden, wird online jede Meldung mit einem Bild versehen. Damit verändert sich auch die bildredaktionelle Arbeit, da für jeden Artikel auch bildredaktionelle Tätigkeiten nötig sind. Sofern es im Zeitungsjournalismus Bildredaktionen gab – was sowieso fast nur auf die überregionalen Medien zutraf – konnten diese für das Printprodukt meist alle bildredaktionellen Aufgaben übernehmen. Aufgrund der großen Anzahl von Online-Artikeln, ist es heute jedoch Standard, dass auch andere Redakteur:innen in die Bildauswahl und die Kontextualisierung von Bildern eingebunden sind. Sie sind allerdings nur in den seltensten Fällen für diese Tätigkeiten qualifiziert.

Inwieweit ist dieser Wandel auch im Magazinjournalismus zu beobachten?

Auch im Magazinjournalismus gibt es viele Veränderungen. Gleichwohl ist der Unterschied, dass Magazine anders als Tageszeitungen meist nicht parallel tagesaktuelle Onlinemedien bespielen. Aber auch der Magazinjournalismus steht vor der Frage, wie er die magazinspezifischen Erzählformen in das Digitale überträgt und mit welcher Strategie die sozialen Netzwerke genutzt werden: Es ist ein großer Unterschied, ob ich als Magazinredaktion eigenständige Inhalte für die sozialen Netzwerke produziere oder nur Inhalte aus dem Magazin anzuteasern, um damit Leser:innen zu locken.

Konsumieren wir Bilder im Digitalen generell anders als in Print?

Ja, weil die Darstellung von Bildern in digitalen Geräten nicht statisch ist. Auf Instagram konsumieren wir die Inhalte beispielsweise scrollend, in anderen Fällen wiederum passen sich die Seitenformate an unsere Endgeräte an, womit sich etwa Bildgrößen sowie Text- und Bildverhältnisse ändern. Darüber hinaus können Webseiten quasi endlos verändert und aktualisiert werden. Das stellt einen zentralen Unterschied zu gedruckten publizistischen Produkten dar: Gedruckt ist gedruckt.

Bildredakteurin Anja Bleyl, die du für eine Podiumsdiskussion beim Studientag eingeladen hast, sagt: „Fachliche Fotokompetenz wird immer wichtiger, je mehr wir in die digitale Welt eintauchen und Grenzen verschwimmen.“ Unterstreichst du diese Aussage?

Absolut: Zum einen ist der Bildermarkt komplexer geworden mit neuen Anbietern und neuen Lizenzierungsformen. Zum anderen sind die Ausspielkanäle für journalistische Inhalte vielfältiger geworden. Somit werden die publizistischen Umgebungen und die damit einhergehenden ethischen Fragenstellungen komplexer.

Warum wird die Macht der Bilder trotzdem so häufig unter- beziehungsweise wohl genauer: gering geschätzt?

Im Journalismus ist meiner Ansicht nach das Grundproblem, dass Fotojournalist:innen nie wirklich als Journalist:innen gesehen wurden und bis heute nicht gesehen werden. Das sieht man unter anderem daran, dass es für Texte häufig Freigabeschleifen gibt, für die Bildauswahl hingegen nicht. Das kann so weit gehen, dass freie Fotojournalist:innen monatelang an einer Geschichte recherchieren, diese fotografieren, aber dann keine Chance bekommen, den Text zu lesen, der in der Textredaktion in kurzer Zeit zu dieser Fotoreportage geschrieben wird. Dies ist völlig absurd und untergräbt den Status von Fotojournalist:innen als Journalist:innen.

Ein passendes Bild können nicht ausgebildete Fotograf:innen eben auch mal schnell aus einer Bilddatenbank kramen. Warum sollten Verlage und Unternehmen an dieser Stelle trotzdem nicht sparen?

Das Grundproblem ist, dass Fotografie oft nur als ein Add-on und ein Teil des „Hübschmachens“ gesehen wird. Verlage und Unternehmen müssen jedoch verstehen, dass der Fotojournalismus ein Kernelement des Journalismus ist. Eine gute fotojournalistische Ausrichtung einer Publikation kann auch ein zentrales Alleinstellungsmerkmal sein. Im Gegensatz zum Journalismus haben dies die Unternehmensmedien erkannt. Ich würde mir Verlage wünschen, die sich trauen, in Fotografie und visuellen Journalismus zu investieren, anstatt dort zu sparen.

Wie findest du es, dass sich Unternehmensmedien einer journalistischen Bildsprache bedienen?

Es ist ein großes Problem, dass Werbung, Unternehmensmedien und Journalismus visuell oft nicht mehr unterscheidbar sind. Unternehmen verfolgen andere Ziele als journalistische Medien. Deswegen finde ich es wichtig, dass der Journalismus sich von Werbung und Unternehmensmedien unterscheidet. Kurzfristig mag es zwar sowohl für Unternehmen wie für journalistische Medien interessant sein, sich in den Bildsprache der jeweils anderen Bereiche zu bedienen, aber langfristig befürchte ich negative Konsequenzen: Für viele Menschen sind die sozialen Netzwerke heute der zentrale Ort, um Inhalte zu konsumieren. Dort stehen bereits Werbung und Journalismus gleichwertig nebeneinander. Wenn hier noch die Bildsprache immer ähnlicher wird, sehe ich die gesellschaftliche Funktion des Journalismus bedroht, zu informieren und zu politischer Willensbildung beizutragen.


Digitaler „Studientag Bildredaktion“

Mit dem Studientag Bildredaktion wird am Studiengang „Fotojournalismus und Dokumentarfotografie“ der Hochschule Hannover zum ersten Mal ein Forum für einen Austausch zwischen Wissenschaftler:innen und Praktiker:innen über das Themenfeld Bildredaktion geschaffen. Am 19. November lautet das Thema von 11 bis 17.30 Uhr „Zwischen Symbol und Information – Der bildredaktionelle Umgang mit der Fotografie im Journalismus“. In der Online-Konferenz geht es um aktuelle Fragen aus dem Bereich der Bildredaktion und der Bildpublikation. Wissenschaftler:innen, Expert:innen mit Bildredakteur:innen diskutieren mit dem Publikum über Zeitungsgestaltung, die Bildredaktion im Lokaljournalismus und die Bedeutung der Bildforensik. Felix Koltermann organisiert den Studientag im Rahmen des aus dem Programm „Pro Niedersachsen“ geförderten Postdoc-Forschungsprojekts „Wandel bildredaktioneller Strukturen im digitalen Zeitungsjournalismus“.

Die Veranstaltung kann sowohl auf YouTube als auch auf Zoom verfolgt werden.

Weitere Infos unter: www.studientag-bildredaktion.de


Porträtfoto von Felix Koltermann

Zur Person:

Dr. Felix Koltermann hat Fotodesign an der FH Dortmund studiert und in Hamburg den Weiterbildungsstudiengang „Master in Peace and Security Studies“ angeschlossen. Er promovierte danach an der Universität Erfurt in Kommunikationswissenschaft über die fotojournalistische Produktion in Israel/Palästina. Zwischen 2016 und 2019 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter im Institut für Medien, Theater und populäre Kultur der Universität Hildesheim. Aktuell arbeitet er an der Hochschule Hannover im Studiengang „Fotojournalismus und Dokumentarfotografie“ in einem Postdoc-Forschungsprojekt über bildredaktionelle Praktiken im digitalen Zeitungsjournalismus. Daneben ist Felix Koltermann als Referent in der Erwachsenenbildung und freier Journalist tätig.