Wann 280 Twitter-Zeichen angebracht wären

Seit Twitter erwägt, die Zeichenzahl zu verdoppeln, erscheinen Plädoyers für und wider die angedachten 280 Zeichen. Generell aufzustocken würde dem Dienst jedoch seinen Reiz nehmen. Unser Vorschlag daher: 280 Zeichen ja – aber nur in Antworten. (Dieser Lead-Text hat 280 Zeichen.)

Es dauerte lange, bis sich mir der Reiz von Twitter erschlossen hat: Im März 2011 angemeldet, dümpelte mein Account sechs Jahre lang dahin – mit Fotojournalisten-Freunden als ebenso unbeteiligte Follower, wie ich es selbst war. Obendrein nutzte ich Twitter völlig falsch, indem ich meinen wenigen Followern keine nützlichen Links vorsetzte, sondern im Gegenteil um ihre Aufmerksamkeit (und Klicks) bei Wettbewerben oder Ausstellungen buhlte.

Für publish! Medien schlüpfte ich dann aber beruflich doch aus dem Twitter-Ei und brütete irgendwann auch wieder über meinem eigenen Account – weil ich in Twitter zwei Vorzüge erkannte.

Warum twittern?

Erstens: Facebook ist für mich unter meinem Klarnamen ein privates Netzwerk (trotz der Möglichkeit, Listen anzulegen). Twitter hingegen ist öffentlich: Jeder kann lesen, kommentieren, mir folgen – auch wildfremde Menschen. Darüber erschließen sich ganz neue „Freundes“-Kreise als in einem privaten Umfeld. Und ich kommuniziere mit diesem Wissen um fehlende Anonymität anders: sachlich, provokant, journalistisch. Vor allem aber relevant.

Zweitens: Twitter lässt keinen Raum für Geschwafel. Oder präziser: 140 Zeichen lassen diesen Raum nicht. Gerade in Zeiten von Zehn-Sekunden-Snapchat-Videos und Content-Overload ermöglicht diese Beschränkung, schnell zu selektieren in „interessiert mich“ (also klicke ich einen Link oder folge jemandem) und „kümmert mich nicht“ (also scrolle ich weiter und folge nicht).

Gerade dieser zweite Punkt macht Twitters Alleinstellungsmerkmal aus. Und so sollte es auch bleiben.

Ungewollte Zuspitzung in 140 Zeichen

Zwar ist die Befürchtung nachvollziehbar, dass sich komplexe Sachverhalte manchmal nicht in 140 Zeichen quetschen lassen. Gerade wenn es um Meinungen geht, kann die geringe Zeichenzahl zu (ungewollter) Zuspitzung führen.

Und klar sind 140 Zeichen manchmal eine Herausforderung und könnten neue Nutzer abschrecken. Aber ob sich wirklich jemand neu bei Twitter anmeldet, wenn künftig das Doppelte erlaubt ist? Das ist ja schließlich immer noch eine Beschränkung. Außerdem käme irgendwann das Argument: „Mist, 280 Zeichen sind zu wenig, 420 wären besser.“ Wenn, dann müsste die Grenze also komplett fallen. Wo aber wäre dann noch der Unterschied zu Facebook?

Was hilft also gegen Twitters Angst, weiterhin ein Nischendasein (mit immerhin 328 Millionen aktiven Nutzern) zu führen und Mitglieder zu verlieren?

Monatliches Zeichenlimit

Thomas Koetter plädiert bei Twitter in einer Antwort an Frank Behrendt für ein monatliches Zeichenlimit. An und für sich ein guter Gedanke. Um Viel-Twitterer nicht zu bestrafen, dürfte das monatliche Zeichenlimit aber erst ab jedem Zeichen gelten, das über 140 Zeichen hinausgeht. Wer sein Limit verbraucht hat, kann danach immer noch twittern – aber eben mit der Beschränkung auf die bisher gewohnten 140 Zeichen. Das entspräche im übertragenen Sinne den Gewohnheiten eines Smartphone-Nutzers, dessen Internetgeschwindigkeit gedrosselt wird, wenn sein Datenvolumen aufgebraucht ist. Nutzer kennen diese Form der Einschränkung also und würden sie auch bei Twitter akzeptieren.

Tweet von Thomas Kötter: "Ich plädiere für ein monatliches Zeichenlimit."
Zeichen vs. Daten: Ein monatliches Limit kennen Smartphone-Nutzer bereits.

Für Antworten auf einen Tweet: Aufstockung auf 280 Zeichen (oder mehr)

Wir haben trotzdem einen anderen Vorschlag: Für Original-Tweets sollte nach wie vor eine Länge von 140 Zeichen gelten. Grundsätzlich. Denn wie schon gesagt: Nur so besteht die Möglichkeit, schnell zu selektieren.

Wenn es dann aber zu Interaktion kommt – was bei Twitter bedeutet, jemand antwortet auf einen Tweet –, gibt es mehr Platz. Sprich: Eine Erhöhung des Limits ist dann sinnvoll, wenn es unter einem Tweet zu einem Dialog, einem Austausch, einem Schlagabtausch kommt. Wenn es also jemand geschafft hat, mit seinen 140 Zeichen für so viel Aufmerksamkeit zu sorgen, dass sich ein anderer Twitterer dazu bemüßigt fühlt, mitzudiskutieren oder seine Argumente, seine Meinung abzugeben. Das gibt auch dem Schreiber des Originalbeitrags die Chance, seinen Standpunkt zu vertiefen.

Weiterer Vorteil: Die Timeline bleibt nach wie vor übersichtlich, weil Antworten schon heute erst ausgeklappt werden, wenn man sie lesen will (und wer sie lesen will, der hat ein grundsätzliches Interesse und demzufolge also keine Abneigung dagegen, wenn ihn dann mehr als 140 Zeichen erwarten). Direktnachrichten – die direkteste Form von Dialog – hat Twitter ja bereits vor einigen Monaten aufgestockt (von 140 auf 10.000 Zeichen). Aber eben nur Direktnachrichten, weil sie den Kern des Kurznachrichtendiensts nicht beeinflussen beziehungsweise auch für vertiefenden Dialog, Austausch und Schlagabtausch genutzt werden.

Auch eine Aufstockung um unendlich viele (oder ebenfalls 10.000) statt nur um 140 weitere Zeichen für Antworten wäre prinzipiell möglich. Aber wer sich die Kommentarspalten in Onlinemagazinen antut, der ermüdet angesichts ellenlanger Ausschweifungen teils so schnell, dass er gute Argumente in späteren Kommentaren vielleicht gar nicht mehr zu Gesicht bekommt.

Fazit

Deshalb unser Plädoyer: 280 Zeichen (oder 140 Zeichen plus ein monatliches Zeichenlimit) – aber bitte nur für Antworten auf Original-Tweets.

 

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Titelbild: publish! | Material: Adobe Stock

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