Die Zeiten, in denen analog geschaffene Illustrationen nur etwas für Nostalgiker waren, sind längst vorbei. Mittlerweile gilt diese Visualisierungsform für Magazinmacher als unverzichtbarer Hingucker. Illustratorin Jenny Adam über Gestaltungstabus, wann eine gute Illustration jedes Fotos schlägt und wo die Tücken und Chancen liegen.
Viele Menschen haben Zeichnen und Gestalten zu ihrem Hobby auserkoren. Reicht eine Affinität dafür schon aus, um für den Beruf als Illustratorin geeignet zu sein?
Nein, eine Affinität reicht nicht aus. Da muss schon eine extreme Leidenschaft dahinterstecken, gestalten und Geschichten erzählen zu wollen. Als Illustrator begleitet man eine Geschichte schließlich visuell. Es ist immer ein Zusammenspiel aus Text und Bild – gerade beim Editorial (dem redaktionellen Umfeld, Anm. d. Red.). Dafür muss man natürlich einmal das Talent haben, das Ganze handwerklich und künstlerisch umsetzen zu können, aber eben auch die Kreativität besitzen, diese eine tolle Bildsprache zu entwickeln, die dann perfekt zur Story passt.
Wie häufig arbeitest du überhaupt noch mit Stift, Pinsel und Papier – anstatt digital?
Das ist eine stilistische Frage. Für mich ist das analoge Arbeiten einfach die Technik, die mir am besten liegt und bei der ich zu kreativen Ergebnissen komme. Deshalb versuche ich, den digitalen Teil der Arbeit so gering wie möglich zu halten. Ich finde dieses haptische Erleben beim Zeichnen und Arbeiten einfach großartig. Dabei arbeite ich viel mit Aquarell, denn bei dieser Technik muss ich viel dem Zufall und dem Material überlassen. Dafür passieren durch Pigment- und Bindemittel sowie durch das Papier Dinge, die man am Computer so nicht erzeugen könnte. Die Arbeit mit Photoshop und Co. ist bei mir also eigentlich nur ein Hilfsmittel und für die Nachbearbeitung und das Zusammensetzen notwendig.
Das klingt, als wärst du keine Freundin von Grafikprogrammen. Bringt die stärkere Einbindung von digitalen Hilfsmitteln trotzdem auch Vorteile mit sich?
Der größte Vorteil der analogen Prozesse ist gleichzeitig auch ein Nachteil: Wenn man analog arbeitet, kann man nämlich nicht einfach einen Schritt zurückgehen und den Fehler beheben – es sei denn, man malt noch mal alles neu oder einfach drüber. Beim digitalen Zeichnen klickt man dagegen einfach auf „rückgängig“, und alles ist gerettet. Für den Arbeitsalltag ist das natürlich praktisch, weil man so schnell zu Ergebnissen kommen kann. Durch meinen analogen Schwerpunkt und die damit verbundenen Fehlerquellen lerne ich aber immer weiter und ich weiß, dass ich mich auch die nächsten dreißig Jahre damit beschäftigen kann, ohne mich zu langweilen.
Apropos Langeweile: Hast du das Gefühl, dass schnell erstellte digitalisierte Visualisierungen in Magazinen wieder seltener werden?
Definitiv. Die analoge Illustration wird dagegen im gesamten Grafikbereich und auch online wieder mehr genutzt, weil unsere Gesellschaft durch die Digitalisierung einfach einen Ausgleich braucht. Die Leute schätzen das Handgemachte wieder mehr.
Fotos sind in gewisser Weise auch handgemachte Visualisierungen …
Das stimmt. Aber man kann in einer Illustration viel mehr Erzählungen unterbringen als in einer Fotografie. Fotografien sind immer viel konkreter, weil sie immer einen bestimmten Moment oder eine Realität abbilden. Eine Illustration hingegen kann auch sehr viel vielfältiger interpretiert werden. Für mich bedeutet das eine größere künstlerische Offenheit. Dem Betrachter gibt es gleichzeitig die Möglichkeit, den Inhalt und den Zusammenhang mit dem Text selbst zu erschließen.
Das klingt fast so, als wären Illustrationen in Magazinen oder Zeitschriften grundsätzlich ein sinnvolles Gestaltungselement.
Es kommt natürlich immer auf die Geschichte an, aber tatsächlich finde ich, dass Illustrationen vor allem im Bereich Corporate und Editorial vielfältig und fast immer eingesetzt werden können – schließlich gibt es viele verschiedene Stile: Von sehr realitätsnahen Illustrationen über sehr abstrakte bis hin zu verdeutlichenden Infografiken ist das Spektrum riesengroß. Als Illustrator hat man also wirklich extrem viele Möglichkeiten, Inhalte in Magazinen oder Zeitschriften passend zu visualisieren.
Gibt es denn gar keine Tabus bei Illustrationen?
Meiner Meinung nach sollten Illustrationen im Bereich ganz konkreter redaktioneller Berichterstattungen, beispielsweise zu bestimmten politischen Ereignissen, vermieden werden. Dort geht es schließlich weniger um das Erzählen von Geschichten, sondern eher um die Wiedergabe von Fakten.
Für das Erzählen dieser Geschichten und die Entwicklung einer Illustrationsidee musst du dich stark in die Themen und deine Auftraggeber hineinversetzen. Variieren deine Umsetzungstechniken demnach sehr stark?
Ich variiere in den Techniken durchaus ein bisschen. Dabei kommt es aber nicht unbedingt aufs Corporate Design des Magazins an, sondern auf das konkrete Thema. Oft passen bestimmte Farbgebungen sehr gut zu bestimmten Themen. Für manche Geschichten müssen die Illustrationen auch eine gewisse Dramatik, einen Konflikt oder auch das komplette Gegenteil, also Harmonie, herüberbringen. In dem Fall arbeite ich dann mit verschiedenen Stiften, Farben und Schraffiertechniken.
Mit unserer Agentur hast du erstmals zusammengearbeitet, als es um ein Projekt für die „supporters news“ des Hamburger SV ging – damals hast du ein Thema über modebewusste Fußballfans illustriert. Welche Technik hast du angewandt?
Oberste Zielvorgabe war, dass die typischen Farben und Marken des Looks erkennbar werden sollten. Weil eine Bleistiftzeichnung mit Aquarell am Besten zum lockeren Stil der „supporters news“ gepasst hat, habe ich in diesem Fall diese Technik ausgewählt. In kleineren Skizzen und Kompositionen wurde dann schnell klar, dass ich den Kontrast zwischen dem Ursprung des Casual-Stils, der in den englischen Arbeiterstädten liegt, und der schicken, modischen Kleidung herausarbeiten wollte. Das habe ich durch den Einsatz bestimmter Farben gelöst: Für den passenden Achtzigerjahre-Mood, in dem dieser Modestil aufkam, habe ich dann gezielt Pastelltöne genutzt und viel mit Texturen gearbeitet.
Wie viel Freiheit lassen dir deine Kunden bei Illustrationen?
Ich bin eine Illustratorin, die vom Stil nicht ganz so extrem festgelegt ist. Trotzdem würde ich sagen, dass Kunden sich ihre Illustratoren ohnehin sehr gezielt und nach ihrem persönlichen Stil und Geschmack aussuchen. So klappt es meistens ganz gut damit, meine bevorzugten Techniken durchziehen – also die haptische Arbeit mit Stiften und Aquarell. Ausschließlich in Adobe Illustrator am Computer zu bauen könnte ich mir nicht vorstellen.
Was ist das Besondere an der Aquarellmalerei?
Es ist eine sehr alte Technik, deren Charakteristik die Transparenz der Farben ist. Das heißt, man kann nicht einfach mit weiß darübermalen, sondern man muss mit Schichten von Farben ein Gesamtbild erzeugen. Diese Technik toleriert nicht gut Fehler, dafür bietet sie sehr viel in Bezug auf die Farbtiefe. Und je nachdem, was für Farben verwendet werden, entstehen auch chemisch oder physikalisch bedingte Effekte. Das heißt die Pigmente stoßen sich ab, granulieren und setzen sich auf dem Papier an bestimmten Stellen ab. Das sind alles Effekte, die Illustratoren nicht kontrollieren können und die Arbeitsprozesse experimenteller gestalten. Gleichzeitig wird der kreative Prozess dadurch aber auch spannender.
Vielen Dank für das Gespräch.
Titelbild: publish! | Material: Adobe Stock
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