Auch wenn Facebook den Newsfeed-Algorithmus ändert und auf mehr Interaktion von Freunden setzt, dürften Unternehmensvideos auch künftig gefragt sein – insbesondere bei jüngeren Zielgruppen, sagt Filmemacher Nico Herzog.
Wie beurteilst du die Entwicklung von Corporate-Videos in den letzten fünf Jahren?
In den letzten Jahren hat die Verwendung von Videos im Corporate-Bereich deutlich zugenommen. Das ist für jeden von uns sichtbar, der sich in den sozialen Medien bewegt. Große Marken wie verschiedene Autohersteller oder Produzenten von Lifestyle-Produkten nutzen die größere Aufmerksamkeit, die ein Video im ersten Moment erzeugt, um ihre Zielgruppe zu erreichen. Qualitativ ist das Niveau sehr unterschiedlich. Die Global Player scheuen keinen Aufwand, auch für sehr kurze Sequenzen ästhetisch hervorragende Filme zu produzieren. Bei mittelständischen Unternehmen oder öffentlichen Einrichtungen sieht man dagegen sehr häufig auch unausgereifte Produktionen. Sie sind entweder viel zu lang – der Betrachter schaut das Video nicht bis zum Ende – oder sie sind technisch sehr mangelhaft. Das hat meiner Ansicht nach verschiedene Gründe. Viele Auftraggeber sind sich nicht im Klaren darüber, wie groß der Aufwand schon für einen einminütigen Film ist und dass die Qualität ihren Preis hat. Verschiedene Perspektiven ein und derselben Handlung müssen gefilmt und gegebenenfalls ausgeleuchtet werden, Interviews müssen mit mehreren Kameras aufgenommen werden, guter Ton muss produziert werden. Anschließend wird das Material gesichtet und dramaturgisch passend geschnitten. Gerade der Schnitt verlangt viel Feingefühl und Zeit, um der erzählten Geschichte die nötige Emotionalität zu verleihen. Am Ende wird jeder einzelne Clip farbkorrigiert und Störgeräusche im Ton werden aufwendig entfernt. Dieser Prozess findet in der Regel im Verborgenen statt. Vor meinem ersten Videoauftrag für ein digitales Magazin sagte der stellvertretende Chefredakteur zu mir: „Bring doch morgen auch mal ein Video von dem Termin mit. Das kann doch jede Kamera mittlerweile.“ Aber ein guter Film entsteht eben nicht durch den Druck auf den Record-Knopf.
Wie ist deine Erfahrung: Warum setzen Unternehmen auf Videos in ihrer Kommunikation?
Ein stehendes Bild ist immer noch das vorherrschende Medium, um einen Großteil der Kommunikation zu bebildern. Flyer, Prospekte, Webseiten, große Werbeflächen – eben die ganz klassische Werbung – kommen nicht ohne sie aus. Aber gerade die junge Zielgruppe ist damit nur noch schwer zu erreichen. Das verstehen auch die meisten Unternehmen mittlerweile. Wer von den jüngeren Menschen liest denn noch ein Magazin oder eine Tageszeitung in der S‑Bahn auf dem Weg zur Arbeit? Stattdessen wird Instagram durchgescrollt und der Facebook-Newsfeed nach für mich wichtigen Nachrichten gescannt. Dabei ist die Aufmerksamkeit bei einem Bewegtbildinhalt erst einmal größer. Man muss keine langen Artikel unter Bildern lesen, um den Inhalt zu verstehen. Wir wollen in dieser irrsinnig schnellen Gesellschaft auch einfach kurz und prägnant verstehen, was der Nachrichtensender, und dazu zählt eben auch der Werber, von uns will.
Was kann ein Video gut, wo gibt es Grenzen?
Gut gemachte Videos servieren uns in kurzer Zeit komplexe Inhalte als Augenschmaus. Sie fesseln uns durch ihre Ästhetik und durch spannende Schnitte. Und zu guter Letzt vermitteln sie ein viel umfangreicheres Erlebnis der darin dargestellten Situation. Geräusche, Stimmen, Bewegungen, Musik – all das lässt uns mehr erleben, als es ein stehendes Bild könnte. Das Zusammenspiel kann eine ungeheure emotionale Wucht entfalten. Dadurch erreicht das Unternehmen den Empfänger des Videos viel stärker auf der Gefühlsebene. Gleichzeit muss man sich die Aufmerksamkeit des Betrachters in den ersten Sekunden hart verdienen. Wen der Film nicht mit den ersten Bildern erreicht, der schaut auch nicht weiter. Ein Film braucht immer eine Dramaturgie, die Handlung muss sich erst entfalten, um zum Höhepunkt und zum Kern der Nachricht zu kommen, ohne langweilig zu werden. Ein gutes Foto kann den Inhalt hingegen verdichten und schneller „lesbar“ machen. In der heutigen Bilderflut ist es jedoch weitaus schwieriger, noch Aufmerksamkeit zu erzeugen. Ich glaube, wir haben uns an vielen Bildstilen satt gesehen. Videos sind meiner Meinung nach gerade im Bereich der Corporate-Videos unverbrauchter. Kleineres Equipment wie zum Beispiel Systemkameras, erschwingliche Drohnen, Action-Cams et cetera, das es so vor vielen Jahren noch nicht in der Breite gab, ermöglicht außergewöhnliche Perspektiven und Erzählweisen.
Oft ist die Produktion von Videos eine Kostenfrage. Wo liegen die Grenzen von Inhouse-Produktionen, wann sollte eine Agentur eingeschaltet werden?
Inhouse-Produktionen haben durchaus ihre Berechtigung. Kleinere Inhalte in kurzen Clips können schnell umgesetzt werden. Ein festes Studiosetup für einen Produkttest muss nicht teuer sein, und mit geschultem Person kann man auch gute Qualität damit erreichen. Manche unserer Kunden schulen wir selbst darin, mit dem Smartphone eigene Clips oder Kurzfilme zu erzeugen. Das reicht völlig aus, um zum Beispiel zwei, drei zusammengeschnittene Videobilder eines Events zu vermitteln. Sie können durchaus auch authentischer wirken als der perfekt gemachte Film. Gerade im Bereich der Smartphone-Videos sehe ich noch sehr großes Potenzial für die Zukunft. Früher benötigte man einen sportlichen Kameramann und ein schweres Steadycam-Gestell, um ein ruhiges Bild in der Bewegung zu filmen. Heute zieht man dafür sein iPhone 7 aus der Tasche. Aber die Grenzen werden schnell klar. Wird der Inhalt komplexer und der Film länger, muss ein Konzept her. Gerade unterschiedliche Drehorte verlangen unterschiedliches Equipment, um der Situation im Video gerecht zu werden. Das kann ein kleines Unternehmen nicht mit einer Person und sparsamer Equipment-Anschaffung stemmen. Ab einem gewissen Punkt ist die Bündelung von Kompetenzen eines Teams nötig, und damit auch die Agentur die richtige Wahl.
Basieren gute Videos auf dem Prinzip des Storytellings?
Jeder Film erzählt eine Geschichte. Es gibt einen Anfang und ein Ende und einen Spannungsbogen dazwischen. Alles andere ist in den Bereich der Kunst einzuordnen. Auch ein gefilmtes Interview vor einer weißen Wand enthält diese Elemente in dem, was mir die Person erzählt. Aber es ist auch die größtmögliche Langeweile. Eine spannende Geschichte, in viele spannende Bildern aufgelöst und dramaturgisch durchdacht, fesselt mich wesentlich mehr. Aber Storytelling sehe ich in Zukunft nicht auf einen einzelnen Film als Produkt begrenzt. Die journalistischen Medien haben in den letzten Jahren sehr viel experimentiert. Komplexe Themen werden nicht mehr durch ein einzelnes Video vermittelt. Sogenannte Scroll-down-Reportagen vereinen Interviews, Animationen, Fotos, Filme und Audiobeiträge. So findet jeder Aspekt einer Geschichte mit dem jeweils passenden Medium den Weg zum Konsumenten. Der WDR entwickelte beispielsweise das Tool „Pageflow“ und machte es für jedermann zugänglich. Ich denke, diese Art des Geschichtenerzählens wird mehr und mehr Einzug in das Corporate Publishing finden. Die Zukunft ist aus meiner Sicht multimedial. Aber ob Video oder Multimedia – gute Geschichten, nah dran an den Menschen hinter einem Unternehmen oder einem Produkt, werden immer überzeugen und andere Menschen erreichen.
Titelbild: publish! | Material: Adobe Stock
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