Journalismus in Kampagnen? Geht gut!

Unternehmensbotschaften brauchen den Holzhammer, um anzukommen? Von wegen. Wer schlau vorgeht, verkauft seine Kunden nicht für dumm, sondern lässt sie selbst nachdenken. Dass dies funktioniert, zeigen die Gewinner der Kategorie „Kampagne“ des weltgrößten Fotografenwettbewerbs, den Sony World Photography Awards 2016.

365 Kilogramm: So viel Müll produziert jeder Mensch in einem Jahr. Eine große Zahl – und ebenso abstrakt. Wer weiß schon, wie viel Gramm eine leere Milchpackung wiegt? Oder eine leere Rolle Klopapier? Oder leere Plastikflaschen? Eben. Also hatte der Fotograf Antoine Repessé die Idee, den Müll eines ganzen Jahres zu sammeln und die Menge zu dokumentieren: mithilfe inszenierter Porträts im Stile einer fotojournalistischen Bildserie.

Da raucht dann jemand in seinem Auto so viele Zigaretten, dass die leeren Schachteln eines ganzen Jahres, wild aufgehäuft in einer kleinen Garage, bis zur Stoßstange reichen. Ein intellektuell dreinblickender Herr wiederum liest seine Zeitung auf einem Zeitschriftenstapel, der nicht nur den kompletten Boden bedeckt, sondern auch die Wände ringsum. Auch auf Details hat Repessé geachtet: Sein Fotomodell, das den Verbrauch von Getränkedosen symbolisieren soll, steht in freier Natur – weil Dosen vor allem außer Haus konsumiert werden.

Objektive Fotografie für starke Kampagnen

Foto: Jetmir Idrizi, Kosovo, Winner, Professional, Campaign, 2016 Sony World Photography Awards
Foto: Jetmir Idrizi, Kosovo, Winner, Professional, Campaign, 2016 Sony World Photography Awards

Repessé belehrt mit seiner Bildstrecke „#365, Unpacked“ niemanden. Er demonstriert nur einen Fakt (die Menge des Mülls) – so objektiv wie möglich. Und hat zudem die Aufgabe übernommen, die (Müll-)Inhalte leicht verständlich in ihre Einzelteile zu untergliedern. Was sie davon halten wollen, überlässt er dann aber den Betrachtern selbst. Das (Gedanken-)Ergebnis wird aber wohl bei fast allen das gleiche sein: „Hui – ganz schön viel Müll!“ Bei den Sony World Photography Awards 2016 belegt Repessé mit seiner Idee den dritten Platz in der Kategorie „Kampagne“.

Foto: David Chancellor, United Kingdom, 2nd Place, Professional, Campaign, 2016 Sony World Photography Awards/KIOSK
Foto: David Chancellor, United Kingdom, 2nd Place, Professional, Campaign, 2016 Sony World Photography Awards/KIOSK

Auch die Erst- und Zweitplatzierten bedienen sich in ihren Kampagnen einer dokumentarfotografischen oder fotojournalistischen Bildsprache: Jetmir Idrizi schärft mit seinem Projekt „TransBrasil“ das Verständnis für Menschen, die sich mit ihrem Geschlecht nicht identifizieren können. Und David Chancellor macht in „Lion“ auf die vom Aussterben bedrohten Löwen in Südafrika aufmerksam. Beide Projekte sind noch mehr als „#365, Unpacked“ journalistisch geprägt – und machen klar: Journalismus vermag es hervorragend, Botschaften zu transportieren – auch in der Unternehmenskommunikation.

 

Die Fotos aller Gewinner und die Arbeiten der engeren Auswahlliste sind von 22. April bis 8. Mai in Somerset House, London, zu sehen. Weitere Infos unter www.worldphoto.org.

 

Titelbild: Antoine Repessé, France, 3rd place, Campaign, Professional, 2016 Sony World Photography Awards

 

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