Tim Grams ist Bahnangestellter. Fünf Tage die Woche pendelt er für seinen Job als Social-Media-Redakteur von Hannover nach Frankfurt. Doch auch in seiner Freizeit bestimmt sein Arbeitgeber den Tagesablauf – denn der Technikfan bloggt auch privat über die Bahn. Eine Idee, die bei der Firma und den Lesern ankommt.
Für ihn sind Züge das Leben: Tim Grams bloggt über alles, was Menschen über die Deutsche Bahn wissen müssen – oder wollen. Der 25-Jährige ist allerdings weder gescheiterter Zugführer noch seit Kindesbeinen Lokomotivfan. Genau gesagt, hatte Grams bis vor sechs Jahren „gar nichts mit Zügen am Hut“. Heutzutage ist das anders: Der Weserbergländer identifiziert sich mit seinem Arbeitgeber, der Deutschen Bahn, sogar so sehr, dass er neben seinem Vollzeitjob als Social-Media-Redakteur bis zu vierzig Stunden pro Woche zusätzlich investiert, um seinen Blog „Der bloggende Bahner“ am Laufen zu halten. Die Themen sind serviceorientiert: Von Faktensammlungen über den neuen ICE 4 über Erklärungen für Zugausfälle bis hin zu Hintergrundberichten zum Beruf des Fahrdienstleiters ist alles dabei. Content-Marketing für lau, sozusagen. Was könnte es Schöneres für ein Unternehmen geben?
Auch beim Motto des Blogs dürfte so mancher DB-Führungskraft das Herz aufgehen: „Mehr Verständnis im Bahnbetrieb“ lautet die Devise. Denn auch heute gebe es laut Grams bei vielen Bahnkunden kaum ein Grundverständnis dafür, was hinter den Kulissen des Verkehrsunternehmens passiert. „Weil einfach viel zu wenig an die Öffentlichkeit gebracht wird“, ist sich der Redakteur sicher. Und genau das will er ändern: Seit Juni 2014 betreibt er seinen Bahnblog deshalb schon – und seine Community wird immer größer. „Ich habe etwa 10.000 Unique Visitors im Monat (einzeln gezählte Blogbesucher, Anm. d. Red.), Tendenz steigend“, sagt der Bahner selbstbewusst.
Bunte Mischung aus allen Social-Media-Kanälen
Kein Wunder, hat er im Mediendschungel doch offensichtlich eine echte Lücke aufgetan. Und die füllt er nicht nur mit dem Blog, sondern auch mit selbst gedrehten Youtube-Videos, Instagram-Livechats, Podcasts und allen weiteren Werkzeugen, die die Social-Media-Kanäle so hergeben. Der smarte Blogger lächelt kurz, dann sagt er: „Ich versuche für meine Zielgruppe eben so bunt wie möglich zu sein.“ Mit „Zielgruppe“ meint Grams übrigens die Bahnkunden und -mitarbeiter, die auf seinem Blog einen Anteil von sechzig zu vierzig Prozent ausmachen.
Und die sollen auf dem privat betreuten Unternehmensblog vor allem mit dem bedient werden, was bei der Deutschen Bahn aus Kundensicht manchmal noch etwas zu kurz kommt: Mit tiefer gehenden Hintergrundinformationen. „Ich mache keinen Newsblog – mir geht es nicht darum, immer der Erste zu sein“, stellt Grams klar. „Ich nehme mir lieber die Zeit, schaue, welche Fragen aufkommen, und beantworte sie dann.“ Darauf angesprochen, ob ihm bewusst sei, dass er damit Content-Marketing in seiner Reinform praktiziere, lächelt Grams milde. „Natürlich, aber daran ist ja nichts verkehrt. Ich möchte den Menschen einfach nur helfen.“
Mehr Hintergrundinfos für Kunden und Bewerber
Tatsächlich sei dies sogar der ursprüngliche Beweggrund gewesen, den Blog ins Leben zu rufen. „Nach meiner DB-Ausbildung zum Fahrdienstleiter habe ich mir gedacht: ‚All das, was ich erlernt habe, sollte ich an die Leute weitergeben, die zwar gern mehr über die Deutsche Bahn wüssten, aber bisher zu wenig Informationen finden‘“, erklärt der Blogger. Vor allem in der Bewerbungsphase sei es für ihn damals sehr mühsam gewesen, ausführliche Informationen zu seinem künftigen Lehrberuf zu finden.
Dass sein Blog irgendwann aber dermaßen gefragt sein würde, hat der 25-Jährige anfangs wohl dennoch nicht geahnt. Schließlich tummelten sich die ersten Monate nur wenige Besucher beim bloggenden Bahner, ein Großteil waren Kollegen – „und selbst die waren anfangs skeptisch“. Und wie sah es bei Grams selbst aus? „Klar, gab es auch bei mir den Punkt, an dem ich mich gefragt habe, ob sich der Aufwand wirklich lohnt“, gibt er zu. Dann hält er kurz inne und sagt schließlich: „Man braucht definitiv einen langen Atem. Der Erfolg stellt sich nicht von heute auf morgen ein.“ Heißt im Klartext: Lehrgeld muss fast jeder Blogger am Anfang zahlen. „Ich habe zum Beispiel zu spät eine klare Linie gefunden, zu spät kanalversierte Inhalte erstellt und zu spät SEO-orientiert geschrieben.“
Diese Planlosigkeit änderte sich allerdings mit den Monaten: „Ich habe mir über die Zeit alles, was mit Social Media, Videos und Bloggen zu tun hat, selbst beigebracht“, so Grams. In dreieinhalb Jahren habe er so für Workshop- und Konferenzbesuche sowie seine komplette Ausrüstung rund 10.000 Euro ausgegeben. Erstmals belohnt wurde dieser Einsatz knapp sechs Monate nach Startschuss: Der Technikfan veröffentlichte in der Adventszeit 24 Bahnvideos, die so gut ankamen, dass sie plötzlich von Unternehmensangehörigen geteilt und schließlich sogar erstmals von gewöhnlichen Bahnkunden angeschaut wurden. Grams Augen werden größer und seine Lippen verziehen sich zu einem breiten Lächeln, bevor er sagt: „Das war ziemlich cool, die Leute wollten das wirklich sehen.“
Zweitbester Blogger des Jahres
Der eigentliche Höhepunkt folgte aber im April 2015. „Die Deutsche Bahn kam auf mich zu und bot mir Hilfe an, das war schon eine große Ehre für mich“, schwärmt Grams noch heute. Seitdem erhält er nicht nur frühzeitig Informationen, sondern oftmals auch Einblicke in nicht öffentliche Bereiche. Doch damit nicht genug: Kurz darauf bekam der Blogger auch das Angebot, eine in Eventzügen umgesetzte Kampagne per Video zu begleiten. Für beide Seiten eine Win-win-Situation: Die Deutsche Bahn profitierte von Grams kundennaher Herangehensweise, und er selbst konnte durch die Bespielung der offiziellen DB-Plattform „Inside Bahn“ sein Publikum vergrößern und noch mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Ergebnis: Ende 2015 wurde der Bahner beim Wettbewerb „Blogger des Jahres“ in der Kategorie „Bester Newcomer“ mit dem zweiten Platz ausgezeichnet.
Doch Hand aufs Herz: Wie viel hat die Deutsche Bahn eigentlich von dem außergewöhnlichen Engagement und Werdegang ihres Mitarbeiters? „Das Unternehmen profitiert definitiv von meinem Blog – schon allein wegen der besser informierten Bewerber“, glaubt Grams. Aber sorgen seine Inhalte auch für höhere Besucherzahlen auf der Bahn-Website? Der Blogger wiegelt ab: „Das weiß ich nicht. Zwar sind am Ende meiner Beiträge teilweise DB-Artikel verlinkt, aber ich zähle da nicht die Anzahl der Klicks.“ Überhaupt stellt er klar, dass sein Blog weder gezielt dem Onlineauftritt der Deutschen Bahn zuarbeiten solle, noch von dem Unternehmen beeinflusst sei: „Mir setzt keiner die Pistole auf die Brust, das ist meine persönliche Meinung – und die kann auch mal kritisch sein.“
Pendelei für die Kundensicht
Damit das mit der neutralen Sichtweise bestmöglich klappt, nimmt er täglich sogar vier Stunden Fahrzeit auf sich. „Ich pendele von meinem einstigen Ausbildungsort Hannover zu meinem neuen Arbeitssitz in Frankfurt“, so Grams, der auch beruflich den Sprung zum Autor geschafft hat: Seit über einem Jahr arbeitet er als Social-Media-Redakteur für die Bahn. Während der Anfahrt könne er die Kundenperspektive besser einnehmen und gleichzeitig erleben, wie gut der Informationsfluss seitens der DB funktioniert, erklärt er, weshalb er Hannover treu geblieben ist. Dass ihm jemand deshalb Übereifer unterstellen oder ihn gar belächeln könnte, ist ihm egal. „Das gehört dazu. Man muss sich eben was trauen, man muss unique sein.“ Denn einen Blog machen, das könne schließlich jeder, „aber für den Erfolg kommt es auf die richtige Herangehensweise und die Einzigartigkeit an.“ Letzteres dürfte ja schon allein durch den Themenfokus gegeben sein.
Titelfoto und Video: Maik Przyklenk
Schnitt: publish!
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