Wie Snapchat heute wirklich genutzt wird

Nur ein Hype oder ist Snapchat der Messenger, der gekommen ist, um zu bleiben? Agenturen beschwören die App bereits als den Content-Marketing-Kanal der Zukunft. Ob das wirklich so ist, weiß Timo Kochanek. Schließlich verbringt der Lehrer in seinem Klassenzimmer täglich Stunden mit den Snapchattern von heute.

Die Messenger-App ist – so suggerieren es die Nutzerzahlen von weltweit 200 Millionen aktiven Usern – das nächste große Ding unter den Nachrichtendiensten. Content-Profis sind bereits ganz wuschig und vom Potenzial der App überzeugt. Alles nur heiße Luft oder große Verheißung? Wir haben mit Lehrer Timo Kochanek über die Nutzung und das Potenzial der App gesprochen. Denn der Realschullehrer weiß, was die Kids wirklich interessiert.

Timo, du bist dreißig Jahre alt und gehörst damit zu den jüngeren Lehrern im Kollegium. Ein Vorteil im Miteinander mit deinen Schülern?

Auf jeden Fall. Der Altersunterschied zu meinen Schülern ist relativ gering, sodass mir deren Lebenswelt nicht allzu fremd ist. Auch die Sprache ist mir größtenteils vertraut. Das schafft natürlich gegenseitiges Vertrauen und erleichtert mir den Unterrichtsalltag.

Dann hast du auch Einblick in deren Kommunikationsgewohnheiten? Welche Messenger-Apps haben deine Schüler auf dem Smartphone installiert?

Ich beobachte, dass meine Schüler vor allem Whatsapp nutzen. Nachrichten, ob geschrieben oder gesprochen, werden untereinander verschickt. Natürlich auch Bilder und Videos. Meine Schüler nutzen die App außerdem, um sich Hausaufgaben und Tafelbilder, die zuvor abfotografiert wurden, zu schicken. Instagram steht auch hoch im Kurs. Sowieso alles Visuelle. Deswegen wird Snapchat auch immer beliebter.

Warum ist ausgerechnet Snapchat so gefragt?

Ganz einfach weil Snapchat im Kern ein Bildmessenger ist. Die App konzentriert sich ganz stark auf alles Visuelle. Hauptzweck ist das Versenden von Bildern und Videos, und so nutzen es meine Schüler auch größtenteils. Snapchat dient nicht dem Informationsaustausch, es ist vielmehr ein kurzweiliges Unterhaltungsmedium. Besonderen Stellenwert haben die Filter der App, mit denen Bilder und Videos verfremdet werden können. Ich glaube, diese kreative Komponente sowie die Vergänglichkeit der verschickten Inhalte – Fotos und Ähnliches sind nur für eine bestimmte Dauer zu sehen und danach nicht mehr verfügbar – machen die App bei jungen Leuten so beliebt.

Wofür interessieren sich die Schüler besonders?

Das Gestalten der eigenen Bilder und Videos steht klar im Vordergrund. Die Snapchat-Filter bieten eine große Auswahl, um sich kreativ auszulassen. Dabei kommen teilweise auch recht lustige Sachen heraus. Zudem lässt die App auch sehr private Einblicke zu. Selbstdarstellung ist sicherlich auch eine Motivation, Snapchat zu nutzen. Albernheiten, Verrücktheiten, Peinlichkeiten und auch Anzüglichkeiten finden hier einen relativ geschützten Raum, denn die Inhalte sind schließlich nur einen Augenblick lang zu sehen. Der Ansatz der Vergänglichkeit motiviert, auch nicht perfekte Inhalte zu versenden. Wir als Schule sehen die Nutzung der App grundsätzlich als problematisch an. Gerade wegen der Möglichkeit Anzügliches oder auch Diffamierendes zu senden.

 

„Snapchat wird älter werden und sich verändern“

 

Hast du Einblicke, an wen deine Schüler ihre Snaps schicken?

Ganz klar an den eigenen Freundeskreis. Aber auch Stars aus der Bloggingszene und Youtuber stehen hoch in der Gunst, wie mir meine Schüler sagten. Auch bekannte Marken wie Nike werden verfolgt. Besonders die Jungen interessieren sich während der Europameisterschaft noch stärker für Fußball als sonst. Wenn Nike dann mit Größen wie Cristiano Ronaldo wirbt, schauen sich die Jungen das natürlich an. Mein Eindruck ist, dass die Schüler die Inhalte zwar konsumieren, aber keine Interaktion daraus entsteht. Diese ist dem Freundeskreis vorbehalten.

Snapchat hat rund 200 Millionen Nutzer. Solche Zahlen machen die App für Unternehmen noch interessanter. Im sogenannten Dicover-Bereich können sich User Markenkanäle und deren Inhalte anschauen. Wie ist das Interesse deiner Schüler daran?

In Deutschland befinden sich im Gegensatz zu den USA diese Kanäle noch im Aufbau. Ich weiß, dass der Kanal des TV-Programmanbieters HBO von meinen Schülern geschaut wird. Da gibt es die neuesten Trailer zu angesagten Serien. Generell scheint hierzulande das Interesse an Markenkanälen überschaubar zu sein.

Snapchat ist vor allem bei Jugendlichen beliebt. Wird die App in Zukunft ältere Nutzerschichten dazugewinnen?

Noch ist die App sehr verspielt, ein Tool zum Experimentieren, insbesondere im privaten Bereich. Snapchat wird älter werden und sich verändern. Das gilt auch für die Nutzer. Wenn die App ihre Funktionen erweitert, werden auch andere Nutzer zu Snapchat finden. Ich denke dabei an die Entwicklung, die Facebook genommen hat.

 
Titelbild: Adobe Stock

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Zur Person:

Timo Kochanek ist Realschullehrer und hat die Fächer Deutsch und Kunst studiert. Seit 2013 unterrichtet er an der Realschule Lehrte und ist Klassenlehrer im 10. Jahrgang. Schwerpunkte seiner beruflichen Aus- und Weiterbildung sind Kommunikation, Jugendsprache und die Integration sozialer Medien in den Unterrichtsalltag.


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